Was ist TEACCH?


TEACCH steht für „Treatment and Education of Autistic and related Communication handicapped CHildren“;
zu deutsch: Therapie und pädagogische Förderung für autistische und in ähnlicher Weise kommunikationsbehinderte Kinder”.


TEACCH – mehr als eine Methode zur Förderung von Menschen mit Autismus
(Dr. Anne Häußler 10/06)


Auf der Suche nach effektiven Therapien für Kinder (und Erwachsene) mit Autismus stößt man auch im deutschsprachigen Raum immer häufiger auf den TEACCH Ansatz. Manchmal wird TEACCH unter den verhaltenstherapeutischen Maßnahmen genannt, manchmal als „Strukturhilfe“ bezeichnet, mal zu den nicht-elektronischen Kommunikationshilfen gezählt und dann wieder als strukturiertes Übungsprogramm dargestellt. Nichts davon trifft es wirklich, denn jeder der genannten Versuche einer Einordnung stellt nur einen isolierten Aspekt des sehr vielschichtigen TEACCH Ansatzes in den Vordergrund. Ich möchte daher folgende Definition anbieten (wohl wissend, dass auch sie nicht alle Aspekte umfasst):


„TEACCH...
...ist ein ganzheitlicher pädagogisch-therapeutischer Ansatz, der die Besonderheiten von Menschen mit Autismus berücksichtigt und die Entwicklung individueller Hilfen zur Unterstützung des Lernens und zur selbstständigen Bewältigung des Alltags in den Mittelpunkt stellt.
Der methodische Aspekt der Strukturierung und Visualisierung bildet dabei eine grundlegende Strategie in der Förderung, die sich auf alle Bereiche der Entwicklung bezieht.“


Der TEACCH Ansatz wurde an der Universität von North Carolina, USA, entwickelt und hat von dort seine weltweite Verbreitung gefunden. Als Zweig der psychiatrischen Abteilung der Universität von North Carolina gründeten Eric Schopler (†) und Robert Reichler 1972 eine Einrichtung zur Förderung und Begleitung von Menschen mit Autismus und deren Familien („Division TEACCH“). Diese Institution besteht aus mittlerweile neun dezentralen Diagnostik- und Beratungszentren und trägt ein Netzwerk von Einrichtungen zur Förderung und Unterstützung für Menschen mit Autismus. Division TEACCH bietet unter Anderem qualifizierte Diagnostik, individuelle Förderplanung, Anleitung von Eltern, Beratung und Begleitung von Lehrern bei Unterrichtsgestaltung und Curriculumsentwicklung, Beratung anderer Institutionen (z.B. Wohnheime, Werkstatt); individuelle Therapie und Gruppenangebote (z.B. Sozialtraining); Berufsvorbereitung und Hilfen bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt; sowie die Entwicklung von Modellprojekten (Schulen, Arbeit, Wohnen).


Aus der langjährigen praktischen Arbeit von Division TEACCH ging, untermauert durch entsprechende Forschungsprojekte, das TEACCH Konzept hervor. Dieses beinhaltet folgende Komponenten:

♦ Dezentrale Organisation, um die Betroffenen vor Ort zu erreichen
♦ TEACCH Zentren (ambulante Diagnostik, Beratungs- und Therapiezentren)
♦ TEACCH Klassen (autismusspezifische Klassen zur Ergänzung anderer Formen      der Beschulung für autistische Kinder)
♦ Kooperation mit den Eltern auf institutioneller Ebene
♦ Verbindung von Forschung und Praxis
♦ Trainings und andere Ausbildungsmöglichkeiten für Fachleute
♦ Orientierung an der „TEACCH Philosophie“

Hinter dem letzten Punkt, der TEACCH Philosophie, verbirgt sich eine pädagogische Grundhaltung. Es ist diese grundlegende Denk- und Handlungsweise, die TEACCH viel besser charakterisiert als die Anwendung bestimmter pädagogischer Strategien.


Zur TEACCH Philosophie gehören folgende Aspekte:

• Fachkompetenz für Autismus
Voraussetzung für die Arbeit ist ein qualifiziertes Fachwissen über Autismus, das sich an den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert. Dies führt dazu, dass Methoden und Strategien in der praktischen Arbeit immer wieder verändert, ergänzt und erweitert werden.

• Individualisierung
Es gibt keine Rezepte oder fertigen Übungsprogramme! Materialien und Vorgehensweisen sind immer individuell auf das Kind/den Klienten und seine spezielle Situation zugeschnitten. Geeignete Maßnahmen werden im Hinblick auf die individuelle Zielstellung zusammengestellt.

• Perspektive der Entwicklung und Orientierung an den Stärken
Die Förderung knüpft an vorhandenen Fähigkeiten an. Unter Beachtung des individuellen Profils von Entwicklungsansätzen werden Angebote gestaltet, die auf den Einzelnen zugeschnitten sind. Die Förderung basiert auf entwicklungslogischen Sequenzen und widerspricht dem bloßen Antrainieren von Fertigkeiten.

• Kontinuität von Diagnostik und Behandlung
Diagnostik muss der Förderplanung vorangehen; aber auch die Intervention muss dokumentiert und zum Ausgangspunkt neuer Erkenntnisse über den Entwicklungstand des Betreffenden genommen werden. Sowohl formelle Diagnostik mittels eigens entwickelter Testinstrumente (PEP-3/PEP-R, TTAP/AAPEP), als auch informelle Diagnostik finden Anwendung.

• Zusammenarbeit mit Eltern
Die Förderung des Kindes ist ein partnerschaftliches Bemühen von Eltern und Fachleuten. Eltern sind die Spezialisten für ihre Kinder. Ihr Wissen und ihre Fähigkeiten werden mit den fachlichen Kompetenzen professioneller Helfer kombiniert. Nur im Voneinanderlernen und Miteinanderarbeiten kann ein optimales Ergebnis erzielt werden.

• Strukturierung und Visualisierung
Das pädagogische Konzept berücksichtigt die mit Autismus typischerweise verbundenen Schwierigkeiten beim Lernen und Handeln. Als autismusspezifische Pädagogik basiert die pädagogische Praxis auf individuell erforderlicher Strukturierung und visueller Gestaltung des Umfeldes, um Orientierung zu bieten und ein Verstehen, Lernen und Handeln zu erleichtern.

• Methodenvielfalt für ganzheitliche Förderung
Therapeuten werden umfassend geschult, um mit allen Problembereichen vertraut zu sein, die sich im Zusammenhang mit Autismus ergeben können. Die erlaubt eine ganzheitliche Sicht und einen effektiveren Einsatz von Spezialisten. Anstatt sich einer bestimmten Therapierichtung zu verpflichten, werden individuell Methoden und Techniken im Rahmen der Förderung eingesetzt, die im jeweiligen Fall als sinnvoll erscheinen.

• Kognitive Psychologie und Verhaltenstheorie
Ansatzpunkte für eine Intervention bei Problemverhalten bilden beobachtbare Verhaltensweisen, deren Sinn und Funktion jedoch zunächst erkannt werden müssen, um die Entwicklung effektiver alternativer Strategien zu ermöglichen. Anstatt Verhalten nur über entsprechende Konsequenzen zu regulieren, liegt der Schwerpunkt auf vorbeugenden Maßnahmen und der Vermittlung von Strategien, so dass der Betreffende in angemessener Weise mit der Situation umgehen kann.

• Respekt, Mitbestimmung und Kommunikation
TEACCH ist ein zutiefst auf Kommunikation ausgerichteter Ansatz, dessen Anwendung im Alltag sichtbar wird. Im Zentrum der Förderung stehen das gegenseitige Mitteilen und Verstehen. Verständnis für das Verhalten von Menschen mit Autismus führt zu einem respektvollen Umgang, der die Eigenarten und Besonderheiten des Anderen achtet. Einerseits bemühen sich die Bezugspersonen, sich durch einen individuell angepassten Kommunikationsstil besser verständlich zu machen. Andererseits werden ganz individuelle Wege gesucht, wie sich das Kind oder der Erwachsene mit Autismus effektiver mitteilen und somit an der Gestaltung seiner Lebenssituation mitwirken kann. Das Ausmaß der Fremdbestimmung ist zu jeder Zeit so gering wie möglich zu halten.

• Langfristig angelegte Hilfen
Autismus ist eine Entwicklungsbehinderung, die sich in den meisten Fällen lebenslang auswirkt. Dies anerkennend, verspricht TEACCH nicht die Heilung von Autismus. Vielmehr geht es darum, für jeden Einzelnen durch optimale Förderung, geeignete Hilfsmittel und entsprechende Gestaltung des Lebensumfeldes ein Höchstmaß an Eigenständigkeit, Selbstbestimmung und Lebensqualität zu erreichen.


Die Methode der Strukturierung und Visualisierung in der pädagogischen Arbeit und im Alltag – oftmals fälschlicher Weise mit „TEACCH“ gleichgesetzt – ist also nur ein Aspekt, der zu der grundlegenden Denk- und Handlungsweise von TEACCH gehört. Diese praktischen Strategien sind eher genereller Art und bilden vielmehr den Rahmen für die Gestaltung von (Förder-)Angeboten, die inhaltlich sehr unterschiedlich ausgerichtet sein können.

Der Gedankengang, der hinter der Entwicklung dieser pädagogischen Strategien steht, ist folgender:
1. Wie nehmen Menschen mit Autismus Informationen auf und verarbeiten sie?
(⇒ Wissen um Besonderheiten im kognitiven Stil)
2. Welche Auswirkungen hat das auf ihr Lernen und Handeln?
(⇒ Feststellen des individuellen Lernstils)
3. Welche Maßnahmen ermöglichen oder unterstützen ein Lernen, Verstehen und
Handeln?
(⇒ Entwicklung eines geeigneten Unterrichts- und Umgangsstil)


Wir wissen von Menschen mit Autismus, dass sie visuelle Informationen häufig leichter verarbeiten können als sprachliche Reize und dass sie soziale Reize oft gar nicht wahrnehmen. Ihre Aufmerksamkeit ist oft auf Details gerichtet, während sie Schwierigkeiten haben, Zusammenhänge herzustellen und das Ganze zu erkennen. Wenn etwas ihre Aufmerksamkeit erregt hat, fällt es ihnen schwerer als anderen Menschen, sie wieder zu lösen und auf etwas Neues auszurichten. Während sie sich Einzelheiten oftmals gut merken können, verhindert dies auf der anderen Seite oft ein Wiedererkennen ähnlicher, aber nicht in allen Einzelheiten identischer Situationen, was die Bildung allgemeiner Konzepte erschwert. Auf der Ebene der Handlungsplanung besteht die Beeinträchtigung darin, systematisch angemessene Strategien für die Lösung eines Problems zusammenzustellen, diese so lange beizubehalten, wie sie effektiv sind, und flexibel auf neue zu wechseln, sobald nicht mehr die gewünschte Wirkung erzielt wird.

Als Folge dieser Besonderheiten in der Informationsverarbeitung lässt sich eine Reihe von typischen Schwierigkeiten beobachten, die das Lernen und erfolgreiche Handeln von Menschen mit Autismus erschweren. Dazu zählen ein geringes Sprachverständnis, eingeschränkte Imitationsfähigkeit, fehlende Generalisierung von Fähigkeiten und Verhaltensweisen, gestörtes Zeitgefühl und mangelnde zeitliche Orientierung, Probleme mit der Erstellung und Einhaltung von Reihenfolgen, beeinträchtigte Fähigkeit zur räumlichen Organisation, mangelnde Flexibilität, schnelle Überforderung bei komplexeren Anforderungen, geringes Erkundungsverhalten sowie eine begrenzte Reaktion auf Lob und soziale Verstärkung.

Wo man auf diese Probleme trifft, stößt die herkömmliche Pädagogik offensichtlich an ihre Grenzen. Der intensive Einsatz visueller Informationen und strukturierender Hilfen im Rahmen eines kleinschrittigen Vorgehens unter Einbeziehung der Spezialinteressen ergibt sich als logische Konsequenz (= „Structured Teaching“).

Strukturierung dient dazu, Komplexität zu reduzieren, das Wesentliche hervorzuheben und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Sie gibt Orientierung in Bezug auf Raum und Zeit, macht Abläufe durchschaubar und Beziehungen offensichtlicher. Regeln werden offen gelegt und dadurch nachvollziehbar. Dass im TEACCH Ansatz die strukturierenden Maßnahmen visuell unterlegt werden, hängt mit der Erfahrung zusammen, dass Menschen mit Autismus visuelle Informationen oftmals besser aufnehmen und umsetzen können. Doch die Visualisierung hat noch andere Vorteile: Visuelle Informationen sind beständig, so dass man immer wieder auf sie zurückgreifen kann. Dadurch dienen sie auch als Erinnerungshilfen und können – ohne dass eine Begleitperson anwesend sein muss – für selbstständiges Handeln genutzt werden.
Das „Structured Teaching“ beinhaltet ein System strukturierender Hilfen, das über einzelne Hinweise, Bildkarten oder Pläne weit hinausgeht. Es bezieht sich auf Strukturierung des räumlichen Umfeldes und der Zeit ebenso wie auf die Gestaltung von Systemen zur Organisation eines Aufgabenpensums und die Strukturierung einzelner Tätigkeiten und Handlungsabläufe. In der praktischen Umsetzung dienen Zeit- und Tagespläne sowie alle Arten von Uhren und anderen „Zeitmessern“ der zeitlichen Orientierung sowie der Erhöhung der Flexibilität bei der Anpassung an neue Situationen. Abgrenzungen und Markierungen helfen bei der räumlichen Organisation. In immer wiederkehrenden Situationen können Routinen helfen, Handlungsabläufe systematisch auszuführen. Entsprechend gestaltetes Material und eindeutige (visuelle) Instruktionen können Überforderung verhindern und die selbstständige Durchführung einer Tätigkeit ermöglichen. In Bezug auf all diese Ebenen gibt es unzählige Ideen zur konkreten Umsetzung. Wichtig ist jedoch, dass die einzelnen Hilfestellungen immer individuell auf den Betreffenden zugeschnitten und seiner jeweiligen Situation und Entwicklung (neu) angepasst werden.

Wo es gelingt, geeignete Formen und ein angemessenes Maß an Strukturierung zu finden, erhalten nicht nur Menschen mit Autismus optimale Voraussetzungen um zu lernen, sich zu entwickeln und sich in unserer „nichtautistischen“ Kultur zurechtzufinden.


(mit Genehmigung von Dr. Anne Häußler, weitere Informationen unter www.team-autismus.de )